Umstrittene Benennung als Bismarckturm
Der Bismarckturm in Memmingen
Vorbemerkungen
Der ehemaligen Reichskanzler Otto von Bismarck erhielt im Jahr 1892 die Ehrenbürgerrechte der Stadt Memmingen.
Die Stadt Memmingen benannte das 1902 errichtete Knabenschulhaus einige Jahr später nach Bismarck. Die nach Westen führende Ausfallstraße wurde in Bismarckstraße umbenannt.
Bauplanung
1903
Ende März 1903 regte der örtliche Verschönerungsverein den Bau eines Aussichtsturmes in Memmingen an. Zunächst wurde über einen 8 m hohen Turm mit dem erhöhten Standort Volkratshofener Straße diskutiert.
Gleichzeitig strebten Bismarckverehrer aus Memmingen eine Ehrung Bismarcks an. Bei der anschließenden Debatte konnte keine Einigung erzielt werden. Die Versammmlung des Verschönerungsvereins genehmigte Anfang April 1903 die Aufstellung eines Aussichtsturmes.
Im September 1903 wurde in einer heimischen Zeitung die Zeichnung eines Aussichtsturmes (ohne Hinweis auf einen Bismarckturm) veröffentlicht. Zuvor hatte man mit einer Feuerwehrleiter am Turm-Bauplatz Volksrathofener Straße (Hühnerberg auf der West-Seite der Stadt) geprüft und für ideal befunden. Nach Angaben des Vereins war neben einer einer Rundumaussicht ein "großartiger Blick zur Gebirgskette von Säntis bis zum Wettersteingebirge" möglich. Als Turmhöhe waren nun 15 m avisiert, das Bauwerk sollte für Jedermann frei zugänglich sein und die Finanzierung über Vereinsgelder und Spenden erfolgen.
1904
Auf der Generalversammlung des Verschönerungsvereins am 03. Mai 1904 wurde diskutiert, ob der geplante Aussichtsturm auch als Bismarckturm erbaut werden sollte. Die katholische Opposition (gegen den Bismarckturm) schlug am 06.05.1904 im Memminger Volksblatt einen Kompromiss vor: Die Bismarckverehrer sollten ein Bismarck-Relief für den Turm aus eigener Tasche bezahlen.
Um das Bauwerk wurden die Wege (Flachwege) ausgebaut, Stadtgärtner Friedrich kümmerte sich um die gärtnerischen Anlagen.
Der Turmbaufonds betrug Anfang April 1904 bereits über 3.000 Mark, das Bau-Grundstück auf dem Hühnerberg war bereits angekauft.
Auf den endgültigen Turm-Entwurf von Stadtbaumeister Peter Lang, der in der Versammlung mehrere seiner Entwürfe öffentlich ausgestellt hatte, konnte man sich am 03. Mai 1904 noch nicht einigen. Der Verein hatte sich zuvor als Vorlagen Entwürfe von Aussichtstürmen aus Deutschland und besonders aus Württemberg geholt. In der Versammlung diskutierte man "wünschenswerte Abänderungen" der ausgelegten Vorschläge von Lang.
Kaufmann Eduard Flach (langjähriger Vorsitzender des Verschönerungsvereins) spendete im Mai 1904 zum zweiten Mal 1.000 Mark für das geplante Bauwerk. Die Stadt Memmingen zahlte lediglich einen finanziellen Zuschuss von 100 Mark, obwohl andere Orte mit vergleichbaren Einwohnerzahlen überlicherweise den 3-5fachen Betrag für solche Projekte beisteuerten.
Bis Juni 1904 konnte man sich auf die endgültige Entwurfs-Version des Stadtbaumeisters einigen.
Am 27.06.1904 wurde mit dem Bau des Turmes auf dem Hühnerberg begonnen, ohne dass eine Entscheidung über die Namensgebung des Turmes gefallen war.
Besonders für den Turmbau eingesetzt hatte sich der Königliche Oberlandesgerichtsrat Herr Haneberg als Vorstand des Verschönerungsvereins.
Die Baukosten betrugen insgesamt 6.000 Mark.
Bauarbeiten
Der Turm wurde von Stadtbaumeister Peter Lang aus Memmingen entworfen, ausgeführt wurde der Bau durch das Baugeschäft Christian Seutter aus Memmingen.
Als Baumaterial wurden Backsteine verwendet, die nach Fertigstellung verputzt wurden.
Weitere beteiligte Firmen und Handwerker
Wendeltreppe: Firma Keusch & Co, Memmingen
Die Eichentür wurden vom Zimmermeister Schmidt und die Türbeschläge von Schlossermeister Michael Metzeler aus Memmingen gestiftet.
Eine erste Besichtigung der Turmbaustelle durch die heimische Bevölkerung fand am 30.10.1904 stand, die Presse sprach von einer "wahre[n] Völkerwanderung" zum Turm. In den Folgetagen wurde das Bauwerk innen eingerichtet.
Eine offizielle Einweihung des Aussichtsturmes fand nicht statt, für den 06.11.1904 (Vollendung des Turmes) hatte der Verschönerungsverein zu einem Spaziergang eingeladen.
Turmbeschreibung (zur Zeit der Eröffnung 1904, der Einweihung 1908 sowie 1997)
Der 18 m hohe Aussichtsturm mit nachträglich installierter Befeuerungsmöglichkeit weist auf dem Turmkopf und dem Anbau Zinnenbekrönungen auf.
Im Jahr 1904 führte eine breite Treppenanlage mit 11 Stufen zu einer Ebene mit einer zweiläufigen Treppe, die durch eine nach vorne offenen, halbrund ausgestalteten Bereich (mit einer Sitzgelegenheit in der Mitte) getrennt ist. Über sechs Stufen dieser Treppe gelangte man zum Eingangsbereich des Bismarckturmes.
Über drei Steinstufen erreicht man den spitzbogigen Eingang des Turmes auf der Südostseite.
Oberhalb des Einganges wurde - direkt unter dem Erker - eine Inschrifttafel mit der Inschrift
Verschönerungs-
Verein
Memmingen
1904
angebracht.
Auf der Seite des Anbaus oberhalb des 1. Erkers wurden drei steinerne Wappen, das deutsche Wappen, das bayerische Wappen und das Memminger Stadtwappen, angebracht. Diese wurden mit einem Band und einem siebenzeiligen Gedicht verziert.
Der Austritt vom Hauptturm auf den Söller ist spitzbogenartig ausgearbeitet. Unter der Zinnenauskragung sind auf dieser Seite drei parallele hochkant angelegte Fensterschlitze eingelassen.
Auf der Südwestseite ist außen ein Balkonaustritt (Alkoven).
Im Sommer 1908 wurde die Inschrifttafel entfernt und durch ein Bismarck-Relief, gefertigt von Adolf Daumiller aus Memmingen (gegossen von Ch. Lenz aus Nürnberg) ersetzt.
Unterhalb des Bismarck-Wappens im Halbrund wurde der Bismarck-Wahlspruch
IN TRINITATE ROBUR
angebracht. Unter der Zinnenaussichtsplattform erhielt jede Turmseite eine der folgenden Inschriften (schwarze Ölfarbe):
Vorderseite
WIR DEUTSCHE FÜRCHTEN GOTT
SONST NICHTS AUF DER WELT
Rückseite
ICH GLAUBE, DASS IN DIESER WELT
DIE WAHRHEIT STETS DEN SIEG BEHÄLT
an den Seiten
HEBEN WIR DEUTSCHLAND SOZUSAGEN IN DEN SATTEL!
REITEN WIRD ES SCHON KÖNNEN
DIE NATIONALE EINIGUNG DER DEUTSCHEN
WAR DER LEITSTERN MEINER LAUFBAHN
Durch die Eingangstür gelangte man zu einer rechtsdrehenden Metall-Wendeltreppe, die zu den beiden Aussichtsplattformen führte.
Vor 1997 wurde die zweiläufige Treppenanlage vor dem Turm umgestaltet (auf jeder Seite nur noch fünf statt sechs Stufen). Der spitzbogige Turmeingang wurde vermauert und verputzt. Ein Fenster auf der Nordwestseite des Turmes ist ebenfalls vermauert.
Turmgeschichte
1904-1907
Die erste offizielle Turm-Öffnung fand am So., 06.11.1904 statt. Am 07.11.1904 wurde in der liberalen Memminger Zeitung der Aussichtsturm in der Überschrift des Artikels fälschlicherweise als "Bismarckturm" bezeichnet.
Der Turm wurde ab 1904 dauerhaft und "völlig unbeschränkt" für Besucher geöffnet.
Im November 1904 waren mehr als die Hälfte der Turmkosten durch Vereinsmittel und Spenden gedeckt. Die Mitglieder des Verschönerungsverein wurden um weitere Spenden gebeten.
Der Verschönerungsverein und die Stadt einigten sich, dass der Aussichtsturm bis 1908 unentgeltlich an die Stadtgemeinde übergeben werden sollte.
1908
Die städtischen Kollegien beschlossen in der ersten Jahreshälfte 1908 einstimmig, dass das Bauwerk zum 10. Todestag des Ehrenbürgers der Stadt Memmingen, Otto von Bismarck (30.07.1908), zu einem Bismarckturm umgestaltet wird. An die Bismarckfreunde in Memmingen erging der Aufruf, Spenden für die Umgestaltung zu sammeln. Der Turm sollte neu verputzt und mit einer abnehmbaren Befeuerungsvorrichtung auf der Plattform versehen werden. Am Turm sollte ein Reliefbild Bismarcks angebracht werden.
Durch 298 freiwilllige Beträge von Bismarckverehrern in Höhe von 1.104 Mark wurde die Umgestaltung des Turmes möglich gemacht. Die Kosten dafür beliefen sich insgesamt auf 967,24 Mark. Der Überschuss wurde bei der Sparkasse für weitere geplante Bismarckehrungen angelegt.
Am Do., 30.07.1908 wurde das neue Bismarck-Relief (Medaillon) am Turm im Rahmen einer "Feier für die Jugend" enthüllt und das Bauwerk in Bismarckturm umbenannt. Der Turm war an diesem Tag mit Blatt und Tannengrün geschmückt, auf der Zinne wehten schwarz-weiß-rote Flaggen. Die Schuljugend (Beteiligung war den 4. Klassen der Volksschulen gegen den versprochenen Ausfall von Nachmittagsunterricht freigestellt) marschierte zum Bismarckturm, wo diese von Bezirks-Oberlehrer Maser empfangen wurden.
Nach dem Singen patriotischer Lieder und der Pflanzung einer Bismarck-Eiche durch die Schüler hielten die Lehrer Münch und Hauptlehrer Marz Ansprachen. Allen Kindern wurde anschließend Wurst und Brot gereicht.
Um 18:00 Uhr marschierte eine städtische Kapelle in Richtung Bismarckturm, eine nationale Feier am Turm fand ab 18:30 Uhr statt. Eine besondere Einladung für die Bevölkerung gab es zuvor nicht.
Um 18:30 Uhr hielt Rechtsrat Bingger eine patriotische Rede, übernahm das Denkmal in den Besitz der Stadt und legte im Namen der Stadtgemeinde einen Kranz auf dem Söller nieder. Heimische Gesangsvereine beteiligten sich mit "geeigneten Liedervorträgen" und "Gesängen patriotischer Lieder". Die abschließende Festrede hielt Reallehrer Lutz.
Um 21:00 Uhr wurden auf der Plattform fünf Feuer und auf dem Söller bengalisches Licht entzündet.
Das Bismarck-Relief (Medaillon in Kunstbronze, Durchmesser 68 cm mit Eichen und Lorbeerzweigen) wurde von Bildhauer Adolf Daumiller aus Memmingen geschaffen und und wurde an der Südseite, oberhalb des Eingangs, angebracht.
Zudem wurde ein von Steinmetzmeister Georg Pöppel geschaffenes und von Malermeister Robert Bäsler bunt bemaltes Bismarck-Wappen am Erker angebracht. Am Turm wurde drei "Bismarcksche Denksprüche" mit schwarzer Ölfarbe geschrieben. Im Turm wurde ein Bismarck-Bild von Gold- und Silberarbeiter Amman (Kosten: 15 Mark) aufgehängt.
Weiterhin erwarb man abnehmbare Feuerkörbe zwecks Befeuerung des Turmes.
1909-1945
Der Bismarckturm wurde von vor dem Ersten Weltkrieg regelmäßig für Besucher geöffnet. Im Jahr 1918 war die Aussicht vom Turm in Richtung Alpen durch die hoch gewachsenen Bäume so zugewachsen, dass der Vorsitzende der Memminger Alpenvereinssektion die Beseitigung der Bäume beantragte. Ab 1921 informierte eine Orientierungs-Tafel auf dem Turm über die Berge in Sichtweite.
Zwischen 1927 und 1929 wurde nahe des Turmes ein Volks-und Sportplatz errichtet.
Zwischen 1943 und 1945 diente der Bismarckturm dem in der Nähe befindlichen Kriegsgefangenlager (Stalag) als Horchposten.
1946 bis heute
Im August 1997 fehlten die Treppenanlagen vor dem Turm. Der spitzbogige Eingang war vermauert und verputzt. Bismarck-Relief und -Wappen (geweißt) befanden sich am Turm, der Wahlspruch und die Inschriften am Turm fehlten.
Im Juli 2007 wurde der Turm verschlossen und in einem sanierungsbedürftigem Zustand vorgefunden.
Bei einem Brand am 28.07.2011 wurde der Turm leicht beschädigt.
Im Jahr 2019 wurde das Bauwerk mit einem Kostenvolumen von 350.000 € umfassend durch die Fa. Christ + Wagenseil aus Leutkirch saniert.
Im Herbst 2023 war der Bismarckturm in einem guten baulichen Zustand.
Öffnungszeiten (Stand: Juni 2024)
Turm ist verschlossen, Öffnungen nicht bekannt.
Links
Koordinaten und Kartenmaterial
Quellen
- Seele, Sieglinde: Lexikon der Bismarck-Denkmäler, Imhof-Verlag Petersberg, 2005, S. 269
- Seele, Sieglinde, Mannheim (Archiv Seele): BISMARCK-TURM von Memmingen (Bayern)
- Memminger Zeitung: 01.04.1903; 02.04.1903; 05.09.1903; 04.05.1904; 06.05.1904; 25.06.1904; 31.10.1904; 07.11.1904; 09.11.1904; 12.11.1904; 04.04.1908; 25.07.1908; 27.07.1908; 28.07.1908; 29.07.1908; 30.07.1908; 31.07.1908; 29.07.2011
- Memminger Volksblatt: 06.05.1904; 06.11.1904; 12.11.1904; 13.11.1904; 25.07.1908; 01.08.1908
- Historischer Verein Memmingen (www.hv-memmingen.de)
Fotos
- Ralph Männchen, Dresden (Juni 2006)
- Hans-Dieter Hirschmann, Haßloch (Juni 2009, Juni 2022)
- Lars Lenzner, Hückeswagen (Juni 2011)
- Jörg Bielefeld, Leverkusen (September 2022)
Übersichtskarte Standort Bismarckturm
Der genaue Standort ist über die Links zu Google Maps / Google Earth (s.o.) zu finden.
Bildergalerie Bismarckturm Memmingen
Foto Bismarckturm Memmingen Juni 2022
Foto Bismarckturm Memmingen Juni 2022
Foto Bismarckturm Memmingen Juni 2022
Foto Bismarckturm Memmingen September 2022
Foto Bismarckturm Memmingen September 2022
Foto Bismarckturm Memmingen September 2022
Ansichtskartenmotive: Bismarckturm-Archiv Jörg Bielefeld, Leverkusen
Fotografien: Jörg Bielefeld, Leverkusen, ansonsten siehe jeweiliges Foto (Erlaubnis des Fotografen)
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